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Zwischen Gelassenheit und Furcht

Eine Tagung im Sankt-Wenzeslaus-Stift beleuchtet das Verhältnis der Kirchen zu den sozialistischen Systemen in Polen und der DDR

Der Blick zurück auf das Jahr 1989 führt hierzulande vor allem nach Leipzig, Berlin, Dresden, auch nach Görlitz. Und er bleibt immer wieder an evangelischen Kirchen hängen, als den Orten, an denen aus Friedengebeten heraus ein großer Umbruch keimen und wachsen konnte.

Das Sankt-Wenzeslaus-Stift des Bistums Görlitz hat nun den Fokus erweitert und Polen in den Blick genommen, wo die revolutionäre Kettenreaktion in Mittelost- und Osteuropa seinerzeit begonnen hatte. Renommierte Wissenschaftler und Zeitzeugen aus verschiedenen christlichen Lebenswelten reflektierten unter dem Motto „Himmel, hilf!“ die Rolle der Kirchen in Polen und (Ost)Deutschland während der Jahrzehnte der sozialistischen Herrschaft und besonders der Monate der friedlichen Revolutionen.

War Papst Johannes Paul II, der „polnische Papst“, ein politischer Umstürzler, ein nationaler Befreier? Nein, sagte entschieden der Pfarrer und Publizist Dr. Kazimierz Sowa aus Warschau. „Diesem Papst gingt es vor allem um die spirituelle Befreiung, nicht zuerst um die politische Befreiung.“ Dass die spirituelle Befreiung des Menschen notwendig einen Angriff auf ein System bedeutet, das sich auf Zwang gründet, war nach der Lesart des in Polen sehr prominenten Theologen zwar eine Folge, nicht aber der Zweck des theologischen Denkens und Handelns von Johannes Paul II.

Freiheit, das war ein Schlüsselwort der Vorträge und Diskussionen während der binationalen und überkonfessionellen Tagung in Jauernick-Buschbach. Von außen bedrohte Freiheit, aber vor allem die ganz unterschiedlichen Strategien der Kirchen in der Volksrepublik Polen und der DDR, mit dieser Bedrohung umzugehen. Altbischof Joachim Reinelt aus dem Bistum Dresden-Meißen begründete das behutsame und oft als zu defensiv kritisierte Agieren der katholischen Kirche in Ostdeutschland mit der Sorge um die Menschen: „Wir Bischöfe wussten, dass uns nichts passiert. Aber wir durften unsere Leute nicht in Gefahr bringen.“ Innere Freiheit kam in den Worten des langjährigen evangelischen Regionalbischofs von Görlitz, Dr. Hans-Wilhelm Pietz, zum Ausdruck, der von der „Einübung von Gelassenheit“ sprach. „Wir wussten, dass wir bespitzelt werden, aber wir hatten keine Angst.“

Kirche in der DDR, das bedeutete Leben in einer Minderheit. Einer größeren protestantischen Minderheit, einer verschwindend kleinen katholischen. Umso mehr sei der Mut der ostdeutschen Christen zu würdigen, die der „Diktatur des Proletariats“ widerstanden, auf welche Weise auch immer. Das betonte der Politologe und Publizist Kazimierz Wóycicki aus Warschau. Es sei daher zwar schmeichelhaft für Polen, als mutige Revolutionäre gepriesen zu werden – doch seien die polnischen Katholiken auch im Sozialismus in der Mehrheit gewesen; mit dem Rückhalt des Papstes ein starkes Bollwerk. Und so brachte Frank Richter eine gemeinsame Forderung auf den Punkt: nach Mut zum christlichen Bekenntnis und zum dafür nötigen Gottvertrauen.

Mit Blick auf die Gegenwart brachte der Theologe und Politiker Frank Richter während der abendlichen Podiumsdiskussion eine Sorge zum Ausdruck, die alle teilten: „Humanismus und Aufklärung stehen auf dem Spiel“, sagte Richter mit Blick auf die aktuelle Tendenz zu einem ausgrenzenden Nationalismus und dem wachsenden Einfluss von Verschwörungstheorien. Aber auch dies einte die Referenten und Podiumsteilnehmer dieses Tages im Sankt-Wenzeslaus-Stift: die Sorge vor einem – auch in Polen und im übrigen Europa – deutlich schwindenden Einfluss der christlichen Kirche. Denn als Bezugsrahmen für gemeinsame kulturelle Werte sei die Religion wichtig, bekannte auch der selbsterklärte „katholische Agnostiker“ Wóycicki.

Vieles wurde bei dieser Tagung mit der anschließenden öffentlichen Podiumsdiskussion deutlich. Auch dies: Es lohnt sich, die Fenster zu öffnen und über Grenzen hinweg mit Nachbarn ins Gespräch zu kommen. Das gilt im ökumenischen wie auch im transnationalen Sinn. Immerhin liegt das Sankt-Wenzeslaus-Stift im Kern der Euroregion Neiße. Namensgeber des Hauses ist der Heilige Wenzel (908 – 935), der in Tschechien als Nationalheiliger verehrt wird. Das Bistum Görlitz wiederum, das sich wegen seiner historischen Wurzeln im heute polnischen Niederschlesien „Brückenbistum“ nennt, beruft sich auf die Heilige Hedwig von Schlesien.

So waren Tagung und Diskussion, die in Kooperation mit dem Meetingpoint Music Messiaen e.V. und mit Förderung durch die Euroregion Neiße verwirklicht wurden, ein Auftakt für weitere Veranstaltungen dieser Art.

(SWS/Frank Seibel)

Fotos: Pawel Sosnowski